Teilprojekte

Teilprojekt 1:

Psychometrie des reinen Bewusstseins

Teilprojekt 1 zielt darauf ab, eine genauere und feinkörnige phänomenologische Beschreibung von MPE zu entwickeln. Wir verwenden mehrsprachige Erhebungen und statistische Methoden, um Invarianzen zwischen verschiedenen Populationen herauszufiltern.

Ein Beispiel: Ergebnisse der explorativen Faktorenanalyse des MPE-92M-Fragebogens (N = 1393).

Die Fragebogenelemente sind auf der y-Achse aufgeführt. Jede Spalte entspricht einer vollständigen Faktorenlösung, wobei die Anzahl der extrahierten Faktoren auf der x-Achse angegeben ist. Die Größe (Fläche) der Kreise ist proportional zu den Faktorladungen. Offene Kreise zeigen negative Ladungen an, und Ladungen unter 0,3 werden nicht angezeigt. Die Farbe steht für die Faktorzugehörigkeit. Es wurde versucht, die "selben" Faktoren für alle Faktorlösungen zu identifizieren und sie gleich einzufärben. "Selbigkeit" ist hier nicht objektiv definierbar, aber der Grad der Ähnlichkeit wurde als Zugehörigkeit zum selben Cluster nach der hierarchischen Clusteranalyse operationalisiert. Die Items sind nach Faktorzugehörigkeit und Größe der Faktorladung in der 12-Faktoren-Lösung sortiert, da diese Lösung am Ende als optimal ausgewählt wurde.

Teilprojekt 2:

Reines Bewusstsein im traumlosen Tiefschlaf

Wir beginnen eine neue Forschungsinitiative zur Untersuchung des Phänomens "Wachschlaf" (Englisch; clear light sleep oder auch witnessing sleep). Dabei handelt es sich um einen Zustand, in dem eine nicht-begriffliche Form von Bewusstheit während des traumlosen Tiefschlafs als eine minimale Form von phänomenalem Erleben aufrechterhalten wird. Der minimale phänomenale Inhalt, der dabei fortbesteht, wird manchmal mit Erlebnisqualitäten wie Raumhaftigkeit, Helligkeit und Glückseligkeit beschrieben, ist aber ansonsten vollkommen frei von den üblichen sensorischen oder begrifflichen Inhalten. Man kann in diesen Zustand aus einem luziden Traum heraus eintreten oder durch die Aufrechterhaltung eines Zeugenbewusstseins im Schlaf beim Übergang aus dem Wachzustand.

Ziel dieses Forschungsprojektes ist es, eine erste wissenschaftliche Studie und Schlaflabor-Validierung über die Erfahrung des Wachschlafs durchzuführen. Dies könnte zu mehreren wichtigen wissenschaftlichen Ergebnissen führen. Erstens könnte ein objektives Signal, das während dieses Zustands gesendet wird, den ersten Beweis für die Aufrechterhaltung des Bewusstseins während des tiefen NREM-Schlafs liefern. Zweitens würde es dadurch zum ersten Mal möglich, die physiologischen und hirnaktivitätsbezogenen Korrelate des Zeugenbewusstseins im traumlosen Tiefschlaf zu messen. Beide Aspekte könnten weitreichende Folgen für unser Verständnis des Zusammenhangs zwischen Bewusstsein und Gehirnaktivität haben.

Wir laden alle Praktizieren, die über eine Ausbildung in Techniken verfügen, um in diesen Zustand zu gelangen (etwa tibetisches "Traum-Yoga") ein, als Versuchspersonen mit uns in diesem Projekt zusammenzuarbeiten. Das Hauptkriterium für eine Teilnahme ist die Fähigkeit, zuverlässig entweder aus luziden Träumen oder aus dem Wachzustand heraus in den Zustand des Wachschlafs zu gelangen. Die Teilnehmer verbringen ein bis vier Nächte im Schlaflabor, während die Gehirnaktivität und die Physiologie mittels Polysomnographie (PSG) überwacht werden. Wenn Sie an einer Teilnahme an dieser Studie interessiert sind, kontaktieren Sie uns bitte, um weitere Informationen zu erhalten.

Teilprojekt 3:

Komputationale Phänomenologie des reinen Bewusstseins

MPE-Episode ohne vollständige Absorption

Subprojekt 3 entwickelt und verfeinert komputationale Modelle der MPE-Phänomenologie. Wir setzen den begrifflichen Rahmen aktiver Inferenz ein, der bewusstes Erleben als Ergebnis eines inferentiellen Vorgangs beschreibt. Das Ziel besteht besteht dabei darin, zu neuen und fruchtbaren Einsichten der zugrundeliegenden Informationsverabreitungsvorgänge zu gelangen und ein präzisere und begrifflich feinkörnigere Analyse der Erfahrung "reinen Bewusstseins" zu erarbeiten.

Im Folgenden werden zwei Modelle beschrieben, das erste ist ein Berechnungsmodell der MPE ohne Absorption (d. h. zusammen mit anderen phänomenalen Erlebnisinhalten) und das zweite ist ein Modell einer MPE-Absorptionsepisode. Wenn Sie technisches Feedback haben oder gerne ein eigenes formales Modell der MPE vorschlagen möchten, wenden Sie sich bitte an mpe@uni-mainz.de.

Diese Grafik veranschaulicht eine inferentielle Architektur, die die Erfahrung reinen Gewahrseins mit anderen Formen von Erfahrungsinhalten zusammenbringt. Der phänomenale Charakter von MPE ist vorhanden, aber Gedanken, Gefühle und Empfindungen treten gleichzeitig auf. Phänomenologische Beispiele wären episodische Erfahrungszustände während der dualen Achtsamkeitspraxis (z. B. Kapitel 2-6 in „Der Elefant und die Blinden“) oder der globale MPE-Modus des Zeugenbewusstseins (Kapitel 19). Das blaue Kästchen auf der ersten Ebene beschreibt Wahrnehmungserfahrungen wie das Sehen, Hören oder das Fühlen von körperlichen Empfindungen, die durch den Atem oder Körperbewegungen verursacht werden. Die Inferenz auf dieser Ebene stellt die Frage: "Was sind die wahrscheinlichen Ursachen für das, was ich mit meinen Sinnen erlebe?".

Ein hypothetisches generatives Modell
der Minimalen Phänomenalen Erfahrung (MPE), zusammen mit anderen Erlebnisinhalten

Das rote Kästchen, das das blaue Kästchen enthält, veranschaulicht ein übergeordnetes Modell des Parameters "Wahrscheinlichkeitspräzision" auf der darunter liegenden Ebene, die den sensorischen Erkenntnisfortschritt, d. h. die Aufmerksamkeit, moduliert. Die Modellierung dieses Prozesses eröffnet dem System einen Handlungsspielraum für mentale Aufmerksamkeit. Phänomenologisch gesehen beschreibt diese Ebene die Erfahrung bewusster Aufmerksamkeit und ihrer Lenkung, da die Ableitung hier auf die Frage hinausläuft: "Wie wird meine Aufmerksamkeit auf verschiedene Wahrnehmungsgegenstände verteilt?". Daher können Veränderungen auf dieser Ebene die introspektive Erfahrung beschreiben, dass man die Aufmerksamkeit z. B. bewusst auf den Atem lenkt, indem man aktiv die Wahrnehmungsbeobachtungen (auf der darunter liegenden Ebene) präziser macht. Zusammengenommen und in Bezug auf unsere erste psychometrische Studie beziehen sich die ersten beiden Kästchen hauptsächlich auf "Zeit, Anstrengung und Verlangen" (Faktor 1), "Sinneswahrnehmung in Körper und Raum" (Faktor 9) sowie die Erfahrung des "geistigen Handelns" (Faktor 11).

Ebene 3 in unserer Abbildung (der grüne Kasten) modelliert die Wahrscheinlichkeitspräzision auf der zweiten Ebene und beschreibt alle Situationen, in denen wir das nicht-begriffliche, erlebnismäßig direkte Bewusstsein unseres Geistes gewinnen oder verlieren, hier dargestellt am konkreten Beispiel des Bewusstseins unseres aktuellen Aufmerksamkeitszustandes. Die Berechnung auf dieser Ebene stellt die Frage: "Wie bewusst bin ich mir meiner eigenen mentalen Zustände?" Indem wir auf der ersten, zweiten und dritten Ebene schlussfolgern, können wir zum Beispiel ganz bewusst auf das Fließen bestimmter körperlicher Empfindungen achten und uns dabei gleichzeitig plötzlicher Aufmerksamkeitsverschiebungen bewusst sein. Dies ist ein typisches Beispiel für Erfahrungen, die während einer Achtsamkeitspraxis wie der Shamata- oder Vipassana-Meditation auftreten, bei der wir bewusst, aber nicht wertend, unseren Atem beobachten und das Abwandern der Aufmerksamkeit bemerken.

Das vierte und größte Feld schließlich beschreibt die Phänomenologie der "epistemischen Offenheit" oder des reinen Bewusstseins. Komputational gesehen ist der Präzisionsparameter, der auf jeder höheren Ebene modelliert wird, das mathematische Element, das das System mit einer Empfänglichkeit für eingehende Informationen ausstattet. Die Zustandsinferenz auf der vierten Ebene läuft daher darauf hinaus, den Präzisionsmechanismus abzuleiten, der die Wahrnehmung über alle Inferenzebenen hinweg ermöglicht, d. h. die globale "epistemische Offenheit" für eingehende Informationen. Phänomenologisch könnte man argumentieren, dass die Berechnung auf dieser Ebene bedeutet, sich der puren Erkenntnisfähigkeit, de Bewusstheit selbst bewusst zu werden, indem man die Frage stellt: "Wie bewusst ist das Bewusstsein sich selbst?".

Warum ist sich das Bewusstsein in dieser Situation seiner selbst bewusst? Weil Bewusstsein dann auftritt, wenn ein System epistemisch offen (d.h. bewusst) für die Welt ist und darüber hinaus um diese Tatsache weiß. Es wäre dann die Ebene 4, die den Inhalten, die auf allen niedrigeren Ebenen erzeugt werden, wirklich Phänomenalität verleiht - also die Qualität "bewusst erlebt zu werden" -, weil sie die Erwartung hinzufügt, dass nun etwas erkannt und gewusst werden kann (und wahrscheinlich auch wird), das diesen Inhalt niedrigerer Ordnung erzeugt. Bewusstsein ist eine globale Vorhersage von Erkenntnisgewinn, die alle Inhalte niedrigerer Ordnung funktional integriert, indem sie sie als etwas darstellt, das nun zur Verfügung steht, um auf eine tiefere Weise erforscht zu werden. Erinnern wir uns an Kapitel 4: MPE ist ein kontinuierlicher, fortlaufender Prozess der nicht-begrifflichen Darstellung und Erfahrung des aktuellen Zustands der epistemischen Offenheit des Organismus, d.h. der Erwartung neuen Wissens, ohne dieses bereits zu besitzen. Das ist es, worauf die Modellierung seiner eigenen Zustände auf der vierten Ebene hinausläuft: ein einziges, integriertes Modell seiner eigenen epistemischen Offenheit, der reinen Erkenntnisfähigkeit in Form eines Selbstmodells auf höchster Ebene - aber ohne Ego. Ohne diese vierte Ebene könnte man sagen, dass die Bewusstheit selbst phänomenal transparent ist: Wir sehen "mit" ihr oder "durch" sie hindurch, sind uns aber nur der Inhalte niedrigerer Ordnung bewusst. Aber jetzt, mit der vierten Ebene, ist das Bewusstsein selbst "undurchsichtig", etwa so, wie wenn wir uns plötzlich der Fensterscheibe bewusst werden, durch die wir in den Garten hinausschauen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses Modell die Eigenschaft der epistemischen Offenheit als die alles durchdringende (von Null verschiedene) Wahrscheinlichkeitsgenauigkeit beschreibt, die das System offen und empfänglich für neue Informationen macht. Ohne diese Eigenschaft können neue Erfahrungen nur aus Schlussfolgerungen entstehen, die auf bereits bestehenden Überzeugungen beruhen. Durch ein globales Modell der Wahrscheinlichkeitspräzision auf allen Ebenen der Hierarchie verfügt das System also über eine explizite Darstellung seiner Fähigkeit zum Erkenntnisgewinn, d. h. seines aktuellen Grades an epistemischer Offenheit. Die Idee ist, dass dies uns eine komputationale Definition von MPE liefert, die uns dabei helfen kann, eine "Minimalmodell-Erklärung" für Bewusstsein zu formulieren (vgl. Anmerkung 1 in Kapitel 1).

Diese und die nächste Abbildung sind nur als Anstoß für die weitere wissenschaftliche Diskussion gedacht. Sie sollen verdeutlichen, dass die jüngsten Fortschritte in der komputationalen Phänomenologie, die den begrifflichen Rahmen der aktiven Inferenz nutzen, im Prinzip auch ein neues Licht auf die Modellierung oder Simulation von MPE werfen können. Es ist jedoch wichtig, sich immer daran zu erinnern, dass "die Mathematik nicht das Territorium selbst ist"( the math is not the territory ; Andrews, 2021), in dem Sinne, dass es immer eine kategorische Kluft geben wird zwischen dem abstrakten und vereinfachten komputationalen Modell einer bestimmten Zielphänomenologie und der viel ganzheitlicheren, subtileren und fließenden Erfahrung, die ihr hypothetisch entspricht.

Technische Erläuterungen

Diese Abbildung zeigt das probabilistische Bayes-Diagramm eines tiefen generativen Modells mit vier hierarchischen Ebenen der Zustandsinferenz. Das Modell stellt den aktiven Inferenzprozess (Friston et al., 2016) dar, der Wahrnehmung und Handlung auf mehreren Ebenen der "parametrischen Tiefe" unterstützt, und ist so strukturiert, dass es die für eine MPE-Erfahrung mit sensorischen und mentalen Inhalten erforderliche Inferenzarchitektur plausibel darstellt. Parametrische Tiefe bezieht sich auf ein hierarchisches Modell, in dem jeder Zustand auf höherer Ebene einen Parameter des Inferenzprozesses modelliert, der sich auf der darunter liegenden Ebene entfaltet (Hesp et al. 2019). In diesem Fall betrachten wir übergeordnete Zustände, die die Genauigkeit der Wahrscheinlichkeitsabbildung γA auf der darunter liegenden Ebene parametrisieren (Sandved-Smith et al., 2021).

Die Wahrscheinlichkeitsabbildung A ist eine Matrix von Wahrscheinlichkeitsdichten, die Überzeugungen darüber kodieren, wie Beobachtungen mit Ursachen zusammenhängen, d. h. P(o | s). Die Inferenz auf jeder Ebene invertiert dann die Wahrscheinlichkeitsabbildung und kombiniert diese mit vorherigen Überzeugungen über Zustände, um den wahrscheinlichsten Zustand P(s | o) zu erhalten (oder zu approximieren). Diese approximative posteriore Überzeugung ist in diesem begrifflichen Rahmen das komputationale Äquivalent der phänomenologischen Wahrnehmung des Systems. Der ursprüngliche Zustandsvektor D spezifiziert die Überzeugungen über den wahrscheinlichsten Zustand der Welt unabhängig von jeder Beobachtung, d. h. die A-priori-Überzeugungen des Systems P(s). Das Modell ist außerdem mit Übergangsüberzeugungen B darüber ausgestattet, wie sich solche Zustände im Laufe der Zeit entwickeln. Diese Erwartungen hängen von den Aktionen u ab, von denen das System glaubt, dass es sie gerade ausführt. Die Auswahl der Aktionen erfolgt durch die Auswahl der Abfolge von Zustandsübergängen (B-Matrizen), die mit der geringsten erwarteten freien Energie G verbunden sind. Zwei zusätzliche Parameter, die in den Prozess der Aktionsauswahl einbezogen werden, sind die A-Priori-Präferenzabbildung (oder C-Matrix), die die A-priori-Vorannahmen über die sensorischen Ergebnisse spezifiziert, und die Vorannahmen über die generelle Handlungsstrategie (policy; E). Die E-Matrix kodiert Überzeugungen darüber, was der Agent tun würde, und zwar unabhängig von der erwarteten freien Energie im aktuellen Kontext. Die erwartete freie Energie bewertet die A-posteriori-Wahrscheinlichkeit verschiedener zulässiger Handlungssequenzen in Hinblick auf die zu erwartenden Ergebnisse. Für eine ausführliche Einführung in den Rahmen der aktiven Inferenz wird auf (Smith et al., 2022) verwiesen.

In active inference, “attentional processes” have been formulated in terms of the precision of the likelihood mapping A (Feldman, Friston, 2010). Intuitively, we can see why precision-modulation over A corresponds with attentional processes: the precision on A represents the extent to which the agent believes their observations “accurately map onto” hidden states. Attending to some stimuli increases the relative weight or gain on inferences made on the basis of that particular data or observation. For example, by paying closer attention to an ambiguous sound, we have greater confidence in determining the location of its origin than when the sound was first heard without being heeded. The process of combining available data with estimations of that data’s reliability—in order to arbitrate its effect (relative to prior beliefs) on the overall inferential process— is known as “precision weighting” or “precision control”. Under active inference, this is the candidate mechanism for attentional modulation of perception. Crucially, this precision creates the computational conditions for the system’s ability to register incoming information.

Daher können Zustände der zweiten Ebene, s(2), als Aufmerksamkeitszustände interpretiert werden, die den subjektiven Gewissheitsgrad interozeptiver oder externe sensorische Beobachtungen modulieren. In gleicher Weise modulieren Meta-Aufmerksamkeitszustände, s(3), den Gewissheitsgrad für Beobachtungen höherer Ordnung des eigenen Aufmerksamkeitszustands; und Bewusstseinszustände, s(4), den Gewissheitsgrad für Beobachtungen höherer Ordnung solcher Meta-Aufmerksamkeitszustände.

Dieses Modell ist ein Vorschlag für eine Inferenzstruktur, mit der die Phänomenologie einer bestimmten Form der minimalen phänomenalen Erfahrung auf der vierten Ebene simuliert werden kann. Wenn wir uns in der Hierarchie nach oben bewegen, wird jede Präzision zur Grundlage für die darüber liegende Zustandsinferenz. Da es sich bei den Präzisierungen um zusammenfassende Statistiken einer Wahrscheinlichkeitsdichte handelt, wird die von ihnen kodierte Information abstrakter und "vereinfachter", je höher wir aufsteigen. Auf der vierten Ebene wird daher von der Gesamtheit aller begrifflichen Inhalte abstrahiert, und die Zustandsinferenz läuft darauf hinaus, dass nur noch der Präzisionsmechanismus selbst abgeleitet und dargestellt wird, der die Wahrnehmung über alle Inferenzstufen hinweg ermöglicht, d. h. die "epistemische Offenheit" für eingehende Informationen.

MPE-Episode mit vollständiger Absorption

Phänomenologisch gesehen existiert eine „eigentümerlose“, nicht an ein erlebendes Selbst gebundene und nicht-agentive Qualität des "Erkennens" oder der Einsicht, in der sich das Gewahrsein (aber nicht der Meditierende, der nicht mehr existiert) auf anstrengungs- und mühelose Weise seiner selbst bewusst ist. Phänomenologisch gesehen gibt kein Subjekt, sondern nur ein reines Gewahrsein, das sich selbst auf nicht-begriffliche und zeitlose Weise erkennt. Die Existenz von Episoden vollständiger Absorption zeigt deutlich, dass agentivische und egoische Formen des Selbstbewusstseins, explizite Zeitrepräsentation und die Selbstverortung in einem räumlichen Bezugssystem keine notwendigen Bedingungen für das Auftreten von Bewusstsein sind.

Beispielsweise können Zustände des bewussten Erlebens, in denen nichts als die Erfahrungsqualität des reinen Gewahrseins selbst präsent ist, während tieferer Zustände formaler Praxis auftreten, z. B. bei der Sitzmeditation, aber auch in jenen Phasen des NREM-Schlafs, die manchmal als "Wachschlaf" bezeichnet werden ("Der Elefant und die Blinden", Kapitel 20). Solche Vollabsorptions-Episoden können auch als eine Form des "nicht-egoischen Selbstbewusstseins" beschrieben werden, weil wir sowohl den phänomenalen Charakter der epistemischen Offenheit vorfinden als auch ein reflexives Element.

Ein hypothetisches tiefes generatives Modell einer MPE-Absorptionsepisode

Phänomenologisch gesehen existiert eine „eigentümerlose“, nicht an ein erlebendes Selbst gebundene und nicht-agentive Qualität des "reinen Erkennens" oder der Einsicht, in der sich das Gewahrsein (aber nicht der Meditierende, der phänomenologisch nicht mehr existiert) mühelos seiner selbst bewusst ist. Phänomenologisch gesehen gibt kein Subjekt, sondern nur ein reines Gewahrsein, das sich selbst auf nicht-begriffliche und zeitlose Weise erkennt. Die Existenz von Episoden vollständiger Absorption zeigt deutlich, dass agentivische und egoische Formen des Selbstbewusstseins, Zeitrepräsentation und die Selbstverortung in einem räumlichen Bezugssystem keine notwendigen Bedingungen für das Auftreten von Bewusstsein sind. Aus komputationaler Perspektive könnte man spekulieren, dass die inferentielle Architektur, die MPE als nicht-egoisches Selbstbewusstsein beschreibt, implizit auch in allen anderen, komplexeren Formen des Bewusstseins vorhanden ist und dass sie tatsächlich den zentralen kausalen Faktor darstellen könnte. Dies würde mit der Auffassung übereinstimmen, dass MPE mit tonischer Wachheit und dem funktionalen Vorgang zusammenhängt, durch den sich das Gehirn selbst aktiviert, zum Beispiel wenn wir morgens aufwachen. Wenn dies zutrifft, könnte die oben dargestellte Struktur einen ersten Schritt in Richtung auf ein Minimalmodell zur Erklärung von Bewusstsein darstellen: Bewusstsein ist eine integrierte Meta-Repräsentation der Erkenntnisfähigkeit an sich.

Wie in der vorangegangenen Grafik beschrieben, bezieht sich die Durchführung von Schlussfolgerungen auf jeder Ebene dieser vorgeschlagenen mentalen Architektur auf die Erfahrung der Welt und des Selbst in unterschiedlichen Graden der informationellen Abstraktion. Auf der höchsten und abstraktesten, der vierten Ebene ist die Erfahrung einfach eine sich selbst bestätigende Darstellung der grundlegenden "epistemischen Offenheit" des Systems. Eine MPE-Absorptionsepisode kann daher als eine Situation modelliert werden, in der das bewusste Erleben ausschließlich Ergebnis von Schlussfolgerungen auf dieser vierten Ebene ist, ohne jegliche Wahrnehmungsinferenzen auf den darunter liegenden Ebenen. Dies wäre der Fall, wenn das System nicht mehr auf die Beobachtungen niedrigerer Ebenen achtet und deshalb nicht in der Lage ist, Schlussfolgerungen auf diesen Ebenen zu ziehen, während es weiterhin auf der vierten Ebene ableitet.

Die nicht-egoische, unbegrenzte, atemporale und aperspektivische Qualität dieser Form des bewussten Erlebens ergibt sich aus dem Fehlen von Handlungsmöglichkeiten auf dieser Ebene. Da die reine Erkenntnisfähigkeit und somit die Fähigkeit zur Bewusstheit immer schon gegeben ist, wird dieser Zustand als etwas dargestellt, das nicht durch eine Strategie des inneren Handelns manipuliert werden kann. Da es sich nicht um etwas handelt, das kontrolliert werden kann oder muss, wird es auch als „besitzerlos“, frei von der Qualität der „Meinigkeit“, und deshalb auch als nicht an eine Erste-Person-Perspektive gebunden erlebt. Dies macht es auch zu einem maximal einfachen Zustand, weil es den Spielraum für ein zeitlich tiefes Handlungsmodell auf dieser Ebene eliminiert, was die mit der zeitlichen Tiefe verbundene phänomenologische Qualität der Agentivität vollständig beseitigt (Friston, 2018). Das in den beiden vorangegangenen Abbildungen dargestellte vorläufige Modell wurde von Thomas Metzinger und Lars Sandved-Smith konzipiert; die Abbildungen wurden von Lars Sandved-Smith erstellt.

Technische Erläuterungen

Diese Abbildung stellt einen Sonderfall der vorangegangenen Abbildung dar und veranschaulicht den aktiven Ableitungsprozess, der Wahrnehmung und Handeln auf mehreren, ineinander eingebetteten Ebenen von "parametrischer Tiefe" zugrunde liegt, wenn mehrere Ebenen der Wahrnehmungserfahrung aufgrund des Mechanismus der sensorischen Dämpfung nicht mehr vorhanden sind.

Bei einer Abschwächung dieser Art werden die eingehenden Daten nicht mehr zur Durchführung von Wahrnehmungsinferenzen herangezogen, und die damit verbundene Form des bewussten Erlebens, zu der die Daten im Normalfall führen würden, findet nicht mehr statt. Dies geschieht, wenn das System intern seinen statistischen Vertrauensgrad bezüglich der eingehenden Daten verringert, und läuft darauf hinaus, dass die Präzision (oder das Vertrauen) in die erlernte Zuordnung zwischen der Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Ursache angesichts bestimmter Daten (die Wahrscheinlichkeitszuordnung A) verringert wird. Dies kann das Ergebnis einer bewussten mentalen Handlung sein (z. B. wenn man sich von einem störenden Geräusch abwendet, um es zu ignorieren) oder durch eine Veränderung des äußeren Kontextes bedingt sein (z. B. wenn das Licht ausgeht und visuelle Wahrnehmungen nicht mehr als informativ behandelt werden können). Diese Abnahme der Genauigkeit der Wahrscheinlichkeitszuordnung wird in der Abbildung durch die dunkel schattierten Genauigkeitsterme γA veranschaulicht. Durch die Abschwächung der unteren Ebenen bei gleichzeitiger Beibehaltung der Präzision auf der vierten Ebene erlebt das System nur die abstrakteste Form von geistigem Inhalt (MPE), d. h. eine Absorptionsepisode reinen Bewusstseins.

Dunkel schattierte Kreise stehen für eine geringe Wahrscheinlichkeitspräzision bei Beobachtungen aus den Ebenen 1-3 in der Hierarchie. Dies wiederum eliminiert das Vertrauen in die Berechnung der A-posteriori-Wahrscheinlichkeit der Wahrnehmung und hat die phänomenologische Konsequenz, dass der Zugang zur entsprechenden Wahrnehmung verloren geht. In dem gezeigten Modell ergibt sich daher die einzige Quelle für Wahrnehmungserfahrungen aus der Inferenzberechnung auf der vierten Ebene (auf der die Wahrscheinlichkeitspräzision beibehalten wird). Nur Zustände auf dieser Ebene werden erfolgreich berechnet, eingeschätzt, und erlebt. Auf diese Weise kann man empirisch plausibel eine MPE-Episode ohne phänomenologischen Inhalt darstellen.

Unter biologischer Perspektive kann man die Wahrscheinlichkeitsgenauigkeit (likelihood precision) mit Effekten des cholinergen Neurotransmittersystems und seiner Modulation der synaptischen Übertragungsstärke (d.h. der neuronalen Signalstärke) in Beziehung setzen (Parr & Friston 2017; Dayan & Yu 2002). Eine plausible Interpretation, die zu testbaren Hypothesen führt, ist deshalb, dass eine hohe Konzentration cholinerger Neurotransmitter in Regionen, die solche hochstufigen Abbildungen kodieren, in Kombination mit einer schwachen Konzentration in Bereichen für niedrigstufige Abbildungsvorgänge auftreten sollte.

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